Sie scheinen nicht nachzulassen, die Schwierigkeiten in unserem Leben.

So ist zumindest mein Eindruck, wenn ich in mein persönliches und gemeindliches Umfeld blicke. Doch auch der Blick auf die Kirchen, auf die Gesellschaft und aufs Ausland verstärken diesen Eindruck. Da scheint sich im Kleinen abzuspielen, was es auch im Großen gibt – oder umgekehrt. Vielfach scheint es aber bei den Konflikten gar nicht so sehr um Sachfragen zum Wohl aller zu gehen. Vielmehr spielen persönliche Befindlichkeiten und eigene Interessen eine große Rolle und schüren die Emotionen. Immer wieder gewinnt die dunkle Seite aus Selbstsucht und Eigennutz die Oberhand. Wäre da so ein Trank, wie der, den Dr. Jekyll in der Novelle des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson (1850-1894) erfand, nicht der ideale Ausweg, um all das Unangenehme und Schlechte einfach loszuwerden?

Bei meinen Überlegungen geht mir eine Geschichte über den Apostel Petrus durch den Kopf. Sie findet sich bei allen vier Evangelisten. Im Kern geht es darum, dass Petrus nach der Verhaftung von Jesus dreimal vor Zeugen leugnet, ihn überhaupt zu kennen. Die besondere Dramatik erhält die Geschichte dadurch, dass Jesus es genauso hat kommen sehen, dass aber Petrus dem vehement widersprochen hatte. Undenkbar, dass er seinen Freund und Lehrer verleugnen könnte! Doch in der Stunde der Gefahr, einsam und ohne seine Freunde, tut er es doch. Und bereut es sofort danach aufs Tiefste.

Der Trank von Dr. Jekyll hätte Petrus vielleicht in die Lage versetzt, auch in einer schwierigen Situation treu zu Jesus zu stehen und ihn nicht zu verleugnen. Der Trank hätte ihn vielleicht davor bewahrt, dass seine Furcht und seine Zweifel die Oberhand gewinnen.

Doch schon in der Novelle von Stevenson hat das seinen Preis. Denn es gibt keinen Dr. Jekyll ohne Mr. Hyde. Der unterdrückte Frust und die Ängste müssen irgendwo hin. Dieser Mr. Hyde, die Summe aller „dunklen Seiten“ des braven Arztes, entwickelt ein beunruhigendes Eigenleben und zieht Unheil bringend durch die Nacht. Am Ende bleibt er der Stärkere und lässt sich von seinem friedliebenden Schöpfer nicht mehr kontrollieren.

Statt seine dunklen Seiten einfach abzuspalten, hätte Dr. Jekyll gut daran getan, sich damit auseinanderzusetzen, ihre Ursachen zu erforschen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Denn erst beides zusammen macht unsere Persönlichkeit aus, und in dem, was uns unruhig und rastlos macht, steckt oft genug eine tiefe Not oder ein Hilfeschrei.

Wenn ich ehrlich bin, wenn wir ehrlich sind, wir haben doch alle Seiten in uns, die uns womöglich gar nicht geheuer sind, die wir nicht mögen oder die wir sogar ablehnen. Das Schlimmste, was wir dabei wohl machen können, ist, diese Seiten einfach zu verleugnen. Denn dann besteht die Gefahr, dass sie ein Eigenleben entwickeln, dass sie uns Streiche spielen und unser Handeln bestimmen gerade dann, wenn wir es am wenigsten wollen. Nein – wir müssen uns ganz aktiv mit unseren »dunklen Seiten« auseinandersetzen, nachspüren, was sie verursacht und überlegen, wie mit ihnen umgegangen werden kann.

Dreimal Luft holen

So hilft es mir zum Beispiel bei, aus meiner Sicht, ungerechtfertigten Vorwürfen, erst dreimal Luft zu holen oder auf zehn zu zählen, statt den Ärger einfach aus mir herausbrechen zu lassen. Damit zwinge ich ihm quasi auf, ein paar extra Runden zu drehen und an Kraft zu verlieren. Außerdem kann ich diese Zeit nutzen, darüber nachzudenken, wie am Besten auf die Vorhaltungen zu reagieren ist. Meist gelingt mir das auch, und ich kann bei meinem Gegenüber nachspüren, wie er oder sie zu der Aussage kommt.

Doch es erfordert einiges an Mut, sich schonungslos mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wer gesteht sich denn schon gerne ein, eine dunkle Seite zu haben? Wer gibt gerne zu, mit seinem inneren Unfrieden, mit den negativen Gefühlen tief in der Brust überfordert zu sein?

Da ist es gut, dass ich auch und gerade mit diesen Seiten und Gefühlen zu Jesus kommen kann. Die Geschichte des Petrus zeigt mir: Jesus kennt mich ganz genau, er kennt alle meine Geheimnisse und dunklen Ecken – sogar jene, die ich selbst noch gar nicht entdeckt habe. Ihm brauche ich nun wirklich nichts vorzumachen, und werde es wohl auch gar nicht können. Und trotzdem liebt Jesus mich, wie er alle Menschen liebt. Er hat Petrus später verziehen und ihm sogar eine große Aufgabe übertragen. Sollte es mir da wirklich so schwerfallen, ganz offen mit mir selbst umzugehen; mir selbst ganz offen eigene Unzulänglichkeiten einzugestehen?

Mit Jesus an der Seite, bin ich doch wunderbar in der Lage, dem inneren Unfrieden, den »dunklen Seiten« in mir etwas entgegenzusetzen. ER hilft mir dabei, davon bin ich überzeugt. Und er tut das immer wieder und mit einer großen Geduld. Deshalb braucht nicht alles gleich beim ersten Mal gelingen. Ich erhalte immer wieder eine Möglichkeit zum Üben. Wie Petrus.

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