Ich brauche diese Treffen, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass meine Trockenheit ein so wertvolles Geschenk ist, das ich unter allen Umständen bewahren möchte. Und das gelingt mir nur, wenn ich selber aktiv dafür etwas tue. Die regelmäßigen Besuche der Selbsthilfe-Meetings sind mir eine große Hilfe.

Hier kann ich Erfahrung, Kraft und Hoffnung schöpfen und mit anderen teilen. Denn die Stärke eines solchen Meetings liegt darin, dass dort Frauen und Männer sitzen, die in ihrer »Draufzeit« Ähnliches erlebt haben wie ich und heute vergleichbare Probleme zu bewältigen haben.

Dabei bedarf es meist nicht vieler Worte, um zu beschreiben, wie es einem geht, was einen umtreibt oder wie man sich fühlt. Das gegenseitige Mitfühlen und Verständnis ist groß. Alle wissen, was es heißt »Kopfkino« zu haben oder unter »Suchtdruck« zu leiden. Da muss Mann und Frau nicht viele Worte machen. Nach dem Zuhören können sie erzählen, wie sie selbst gelitten haben. Aber auch, welche Strategien sie entwickelt haben, um da wieder heraus zu kommen.

Dieser Austausch trägt dazu bei, dass in Selbsthilfe-Meetings eine ganz besondere Atmosphäre herrscht. Eine Atmosphäre, die von vorne herein davon geprägt ist, dem Gegenüber zu vertrauen. Wie Kampfgefährten in einer gemeinsamen großen Schlacht, ist jeder und jedem instinktiv bewusst, dass man sich auf einander verlassen kann. Dabei steht das gemeinsame Ziel, die »Trockenheit«, über allem, was man zusammen erlebt und teilt. Es gibt kein Meeting in den letzen Jahren, wo ich mich fehl am Platze gefühlt hätte oder wo ich mich nicht gut aufgehoben wusste. So ist es ganz normal, dass Selbsthilfe-Meetings mit betroffenen Alkoholikern und Alkoholikerinnen bei mir einen riesen Vertrauensvorschuss genießen.

Im Alltag bestehen

Im Alltag habe ich den Rückhalt eines Meetings nicht. Im Alltag stehe ich den Herausforderungen alleine gegenüber. Ich muss imstande sein, knifflige Situationen selbst zu meistern. Vieles hängt dann von in Sekunden zu treffenden Entscheidungen ab. Am Beginn meiner Trockenheit war das die größte Angst in mir. Alleine da zu stehen und womöglich falsche Entscheidungen zu treffen.

Doch die Angst hielt nicht lange an. Außerhalb der Meetings habe ich eine zweite, mir sehr wichtige Anlaufstelle gefunden. Im spirituellen Programm der Anonymen Alkoholiker wird von einer »Macht, größer als wir selbst« gesprochen, die in der Lage ist, uns (Süchtigen) unsere »geistige Gesundheit wiederzugeben«. Für mich war diese Aussage nicht wirklich überraschend. Denn ich habe von Anfang an nicht geglaubt, dass ich mir meine Trockenheit und meine neu gewonnene Gesundheit selbst erarbeitet habe. Meine Trockenheit ist Gnade, ein Akt der Barmherzigkeit, ein Geschenk.

Durch Begegnungen mit anderen und vielen Gesprächen füllte ich dieses eher abstrakte Gedankenkonstrukt einer »Macht, größer als wir selbst« mit Gott dem Vater,
dem Sohn Jesus Christus und dem Heiligen Geist.

Um mehr darüber zu erfahren, habe ich angefangen, in der Bibel zu lesen. In den Evangelien des Neuen Testaments wird nicht von einem fernen, abgehobenen Gott gesprochen. Sondern von einem Gott, der in Jesus Christus als Mensch mitten unter den Menschen lebt. Und dieses Leben ist nicht das Leben eines Herrschers, der in Palästen wohnt, sondern das Leben eines Mannes, der barfuß in Sandalen unterwegs ist und den Armen, den Kranken und den Ausgestoßenen begegnet.

Gott als Mensch

Mit Anfang 30 beginnt Jesu öffentliches Wirken. Es wird von Begebenheiten berichtet in denen er geduldig ist und seinem Gegenüber zugewandt Hoffnung und Zuversicht zuspricht. In anderen Begebenheiten wird er wütend geschildert, ungeduldig mit denen, die mit ihm unterwegs sind. Selbst Angst, Trauer und Schmerz erlebt Jesus in seinem Leben. Gott ist da ganz Mensch.

Eindrücklich habe ich die Geschichte mit einem schwerreichen Mann vor Augen, der sein Geld nicht weggeben will, um Jesus zu folgen. Jesus bleibt nichts anderes übrig, als ihm traurig hinterher zu schauen, als dieser weggeht. Noch eindrücklicher finde ich die Begebenheit im Garten Gethsemane. Jesus steht kurz vor seiner Gefangennahme und Hinrichtung. Er ist mit seinen Jüngern zusammen. Er schwitzt Blut und Wasser und teilt seine Ängste, seine Schmerzen und seine Trauer mit ihnen. Dann bittet er sie, mit ihm wach zu bleiben und zu beten – und muss doch miterleben, wie sie einschlafen.

Jesus Christus an meiner Seite

Ein Gott der solches durchgemacht hat, ist für mich kein ferner Gott. Genau das ist es, was mir dabei geholfen hat, mit Gott, mit Jesus ins Gespräch zu kommen. Vor meinem inneren Auge sehe ich einen Gott, der mir nahe ist. Der weiß, was es heißt zu leiden. Wie in den Männern und Frauen in meinen Selbsthilfe-Meetings sehe ich in Jesus ein Gegenüber, dem Angst, Schmerzen, Wut – aber auch Freude nicht unbekannt sind. Der weiß was es bedeutet, wenn ich selber davon spreche. Und deshalb vertraue ich ihm.

Wenn mich heute Situationen überfordern und ich schnell überlegen muss, wie ich reagieren soll: Dann weiß ich jemanden an meiner Seite, der mich verstehen kann.  Weil es Gott aus eigener Erfahrung kennt. Das Wissen um Gottes Gefühle stärkt mein Vertrauen in ihn. Schon das hilft mir, gelassener zu werden und mich den Herausforderungen des Alltags zu stellen.

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