Geistesblitz beim Deichspaziergang

Die Sonne steht knapp über dem Horizont und der Wind streicht frisch durch die Baumwipfel. Ruhig fließt die Weser hier entlang, nur ein leises Rauschen ist vom nicht allzu weit entfernten Wehr zu hören. Menschen sind an diesem Tag, um diese Uhrzeit kaum unterwegs – ein alter Mann mit seinem Hund, eine junge Joggerin.

Es ist ein schöner Weg, der hier am Fluss entlangführt. Ganz frisch ist das Grün, das sich in den vielen Bäumen und Sträuchern am Wegesrand zeigt. Aus der nahegelegenen Kleingartenkolonie »Weserlust« strömt ein leichter Duft von frischen Blüten und Frühling herüber. Nicht hastig setze ich einen Fuß vor den anderen und genieße diesen wunderschönen Morgen mit allen Sinnen. Ich sehe und höre, ich rieche und spüre die Natur rings um mich herum. Selbst wenn meine Beine müde werden, ist hier für mich gesorgt. Immer wieder steht eine vereinzelte Parkbank am Wegesrand und lädt zum Verweilen ein.

Was wäre, wenn?

Ein wilder Gedanke schießt mir bei dem Anblick einer solchen Bank durch den Kopf. Was wäre, wenn auf dieser einen Bank plötzlich Jesus sitzen würde? Wäre ich in der Lage, ihn zu erkennen? Oder anders: Wenn er mich ansprechen und mir sagen würde, wer er sei – würde ich ihm glauben?

Ganz traurig werde ich beim Nachdenken ob dieser Frage. Denn vermutlich würde ich ihn wohl weder erkennen noch ihm glauben. Da hülfe auch keine noch so ernsthaft vorgetragene Zusicherung, dass er in der Tat der Auferstandene sei. Ich bin mir sicher: Ich würde ihm nicht glauben. Das macht mich traurig.

Da hilft mir auch das Wissen nicht, dass unter seinen Jüngern ebenfalls Zweifler waren. Die Bibel erzählt, dass die Jünger dem auferstandenen Jesus an einem Berg in der Region Galiläa begegnen, aber nicht alle können glauben, was sie da sehen. Auch nicht, als Jesus ihnen zusichert, dass ihm alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden. Der Zuspruch »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Enden« ist eine weitere Herausforderung. Wie sollen sie diese Worte glauben können, wenn es ihnen noch nicht einmal gelingt zu akzeptieren, dass Jesus jetzt in diesem Moment direkt vor ihnen steht. Wenn es schon Zweifler bei den Menschen gibt, die Jesus wahrhaftig erlebt haben, ist der Zweifel heutiger Menschen nicht verwunderlich. Und doch sollen wir ihm glauben. Und doch sollen wir auf seine Worte vertrauen: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.«

Wie soll das gehen?

Meinen traurigen Gedanken nachhängend drehe ich eine extra Runde um die Bank, die diese wilden Überlegungen in mir auslöste. Fast beschwörend denke ich: Wenn da jetzt plötzlich jemand sitzen würde, dann würde ich glauben. Wenn da jetzt plötzlich Jesus sitzen würde, dann hätte ich keine Zweifel mehr und alle Fragen, die ich hätte, würden sich von einem Moment zum anderen in Wohlgefallen auflösen. Ich wäre mir meines Glaubens gewiss und nichts und niemand könnte mich von etwas Anderem überzeugen. Zweifel würden nur noch als ein dunkles Kapitel in meinen Erinnerungen existieren und irgendwann vergessen sein. – Doch sie bleibt leer, die Bank.

Minuten verstreichen und plötzlich muss ich lachen. Mir wird bewusst, dass es für meine traurigen Zweifel gar keinen Anlass gibt: Denn jetzt, in diesem Augenblick, ist Jesus ja offenbar gerade bei mir. Nicht sitzend auf der Bank, sondern in meinen Gedanken und in meinem Herzen.

Jesus in meinem Herzen

Er ist bei mir, weil ich an ihn denke. Er ist bei mir, weil ich mich mit seinem Wort auseinandersetze. Er ist bei mir, obwohl oder vielleicht auch gerade weil ich zweifle. Wie kann jemand nicht lebendig sein, wenn sich doch meine Gedanken um ihn drehen? Wie kann jemand nicht da sein, dessen Worte mich so bewegen? Wie kann ich meinem Zweifel besser begegnen als mit der Gewissheit, dass ich nicht alleine durchs Leben gehe? Ich brauche niemanden, der plötzlich vor mir auf der Bank sitzend auftaucht und mir versichert, er sei Jesus. Im Gegenteil – das würde mich eher verunsichern. Das Versprechen Jesu hat eine andere Qualität. Ich trage seine Zusicherung mit mir, bei mir, in mir. Und die einzige interessante Frage ist, was seine Anwesenheit in meinem Leben bewirkt.

Es mag sein, dass mir das nicht immer bewusst ist, aber ich bin mir jetzt ziemlich sicher, ich werde in der nächsten Zeit wohl nicht an einer einzigen Bank vorbeigehen können, ohne dass mir das wieder einfällt.

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