Heute sitze ich an einem großen Kinderspielplatz und schaue dem Treiben der unzähligen Kinder zu. Dabei versuche ich, die Kinder den Erwachsenen zuzuordnen, die sich in einiger Entfernung am Rand rund um den Spielplatz aufhalten. Manche der Frauen und Männer sitzen alleine, manche in Grüppchen beieinander und unterhalten sich angeregt.

Wenn ich dann aber sehe, zu wem das eine oder andere Kind rennt, wenn es sich weh getan hat oder etwas zu Essen oder zu Trinken haben möchte, dann liege ich mit meiner zuvor getroffenen Zuordnung meist falsch. Kein Verlass mehr darauf, die Zuordnung anhand der Haarfarbe, des übrigen Aussehens oder gar der Kleidung festzumachen. Kein Wunder, denke ich dann so vor mich hin, Familie sieht heute auch ganz anders aus. Da kann es dann sogar vorkommen, dass es bei zwei Erwachsenen und drei Kindern in der Familie, keine biologische Verwandtschaft mehr gibt. Oder zwei Kinder jeweils ein Teil des Erbgutes eines Erwachsenen in sich tragen und ein Kind, das Erbgut beider. Oder eine noch ganz andere Kombination.

»Ja, ja die Welt ist kompliziert geworden«, ist dann so ein weiterer Gedanke von mir. Wobei ich dabei aber gleich innerlich lachen muss, denn früher, ganz viel früher, war das mit der Familie auch nicht so eindeutig. In der Bibel findet sich dazu eine Reihe von Geschichten, die von Babyklappe über Leihmutterschaft und Patchworkfamilie alles aufzubieten hat.

Von der Babyklappe bis zur Patchworkfamilie

Na ja, ob die Aussetzung des Moses in seinem Schilfschiffchen als zeitgemäßes Äquivalent zu einer heutigen Babyklappe gesehen werden kann, darüber lässt sich bestimmt streiten. Aber der Grund für die Aussetzung ist ja die Mutterliebe und echte Not gewesen. Die Mutter des Moses wollte ihm das Leben retten, denn immerhin hatte der Pharao angeordnet alle neugeborenen Söhne der Israeliten zu töten. Sie sah in der Aussetzung die einzige Chance, sein Überleben zu ermöglichen. Und Mose wurde gefunden und wuchs in einem neuen Heim auf. Auch heute wird eine Mutter nur in einer verzweifelten Situation einen solchen Weg wählen.

Auch das Thema Leihmutterschaft kommt im Alten Testament schon vor. Abraham und Sara sind schon hochbetagt und sie leidet sehr darunter, dass sie noch immer kinderlos ist. So wird ihre Magd Hagar dazu auserkoren, mit Abrahams Samen einen Sohn zur Welt zu bringen, der als Erbe fungieren kann. Sara bekommt später dann noch einen eigenen Sohn, Isaak, was das ganze Familienkonstrukt noch komplizierter macht.

Die Praxis des im 5. Buch Mose formulierten Scheidebriefs, der es dem Mann gestattete, seine Frau bei Missgefallen wieder loszuwerden, wurde zwar durch Jesus in Frage gestellt (»nur wegen eurer Herzens Härte gibt es dieses Gebot«), doch Scheidungen gab es eben damals schon und es gibt sie bis heute.

Apropos Jesus, auch die »heilige Familie« war eine ungewöhnliche. Immerhin wird Maria unverheiratet schwanger und Josef, ihr späterer Mann, ist nicht der Vater.

Der Wunsch nach Ordnung

Wir sehen: Schon damals gab es eine große Vielfalt an Familienmodellen. In früheren Jahrhunderten war die Familie in erster Linie eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Erst in der Neuzeit entwickelt sich das idealisierte Vater-Mutter-Kind-Modell. Ich denke, das hat etwas mit der illusorischen Vorstellung zu tun, dass bei Vater, Mutter und Kind alle Fragen geklärt sind: die Rollenverteilung ebenso wie der Umgang miteinander. Es klingt nach einfacher Ordnung. Die Familie wird zum Ruhepol in einer komplizierten Welt stilisiert. Dass diese einfache Vorstellung eine Illusion ist, sehen wir an der Scheidungsrate, die 2016 immerhin bei 39,6 % lag, und an den vielen Fällen von Missbrauch und häuslicher Gewalt.

Worauf es ankommt

Es ist also bestimmt nicht falsch zu fragen, was eine Familie denn nun grundsätzlich ausmacht. Geht es da wirklich nur um die biologische Zugehörigkeit, oder sind andere Faktoren womöglich bestimmender für ein gelungenes Familienleben?

Ich meine, letzteres ist der Fall. Spontan gehen mir eine ganze Reihe von Fragen durch den Kopf, die mir als Kind wichtiger wären als die biologische Zugehörigkeit. Fühle ich mich geborgen und gut versorgt? Erhalte ich Zuspruch und erlebe ein liebevolles Miteinander? Kann ich mich frei entfalten und meine Begabungen und Fähigkeiten entdecken?

Schon für Jesus ist der Blick auf die Kinder ein ganz wichtiger gewesen. Er wendet sich ihnen in besonderer Weise zu. Im Lukas-Evangelium spricht er zu seinen Jüngern: »Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.« (Lukas 18,16)

Wenn es um moderne Familienmodelle geht, dann ist für mich die wichtigste Frage, ob es den Beteiligten, vor allem dem Kind und den Kindern darin gut geht. Gibt es da ein Ja als Antwort, dann scheint mir der Blick auf die biologische Zugehörigkeit, auf den Trauschein oder das Geschlecht der Eltern von nachgeordneter Bedeutung. Denn dann gehe ich davon aus, dass Werte wie Verantwortung und Verlässlichkeit in der Familie ebenso gelebt werden, wie die gegenseitige Achtung, das Füreinander Sorgen und ganz besonders die gegenseitige Liebe.

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