Neulich in der Bahn:

Sie: „Du weißt, ich arbeite gerne in der Flüchtlingsunterkunft und bin immer gerne bereit, den Menschen dort zu helfen. Aber jedesmal, wenn ich eine Frau in einer Burka sehe, wird mir ganz anders. Dann werde ich unsicher und möchte am liebsten den Raum verlassen.“
Er: „Ich kann dich gut verstehen. Wenn mir auf der Straße jemand mit einer Burka entgegenkommt, dann gehen mir Fragen durch den Kopf, wie: ‚Steckt da wirklich eine Frau drunter?‘ oder ‚Wie groß ist der Sprengstoffgürtel, der durch die Burka verdeckt wird?‘“
Sie: „Das kommt durch diese vielen Berichte im Fernsehen. Da wird man ja ganz kirre.“
Er: „Du hast recht. Manchmal wünsche ich mir, dieses Misstrauen einfach ausblenden zu können und mich ganz unvoreingenommen auf den Menschen einzulassen, der mir begegnet.“

Ja, manchmal wäre es in der Tat hilfreich, kein vorgefertigtes Bild von einem Menschen zu haben. Ohne Vorurteile und Stereotypen blieben die Schubladen in unseren Köpfen erst einmal leer. Schubladen in die wir Menschen, die uns begegnen, ganz automatisch stecken.

Was das ändern würde, zeigt ein einfaches Gedankenspiel. Ich stelle mir vor, ich würde einer Person erst einmal mit geschlossenen Augen gegenüberstehen – oder den ersten Kontakt am Telefon haben. Wenn ich meinen Gesprächspartner nicht sehen kann, dann weiß ich zunächst nicht einmal, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelt. Ist die Person alt oder jung, hat sie eine helle oder eine dunkle Hautfarbe? Wie ist die Person gekleidet, hat sie Tätowierungen oder trägt sie Schmuck? Das alles wüsste ich nicht. Alle meine Schubladen, die ich für solch ein Frageraster vorbereit in meinem Kopf habe, wären noch leer.

Erst wenn ich mit meinem Gegenüber ins Gespräch komme, könnte ich anfangen, mir eine Vorstellung von dieser Person zu machen. Ich würde sehr genau hinhören und versuchen, das Gehörte notfalls durch Rückfragen besser zu verstehen. Nur so würde sich Stück für Stück ein Bild in meinem Kopf formen. Und ich bin mir sicher, dass dieses Bild dann mehr mit dem Menschen vor mir zu tun hat, als die vielen Gedanken, die ich mir gemacht hätte, hätte ich die Person aus der Entfernung auf mich zukommen sehen.

Der Mensch sei schnell zum Hören

Es ist eine ungewöhnliche Formulierung, die uns im Monatsspruch für Juli (2019) begegnet. Kann man denn wirklich unterschiedlich schnell hören?

Die Geschwindigkeit spielt bei dieser Aussage wohl nur eine untergeordnete Rolle. Im Dreiklang mit der Formulierung „langsam zum Reden“ und „langsam zum Zorn“ kann der Text durchaus so verstanden werden, dass es darum geht, erst ganz genau hinzuhören, bevor wir selbst reden oder Gefühle in Wallung geraten. Eine weise Erkenntnis, die wir heute in der modernen Kommunikationsforschung wiederfinden: nicht sofort ein fertiges Bild im Kopf zu haben, sondern erst zu überlegen und sich gegebenenfalls noch einmal durch eine Rückfrage zu vergewissern, ob man auch alles richtig verstanden hat. Damit haben nicht nur wir selbst eine Chance, den anderen besser und damit wahrhaftiger zu verstehen, auch wir selbst können besser wahrgenommen werden, vorausgesetzt unser Gegenüber bemüht sich ebenfalls um dieses „aktive“ Zuhören.

Gottes Wort und Menschen Wort

Das aktive Zuhören gilt nicht nur im Umgang mit anderen Menschen. Auch wenn wir uns mit dem auseinandersetzen, was wir in der Bibel lesen, sind fertige Bilder und Schubladen im Kopf nicht immer hilfreich. Sie hindern uns womöglich sogar daran, ein neues anderes Verständnis von dem zu erhalten, was wir da lesen.

Gottes Wort, die Bibel, ist ja dazu da, uns in unserem Leben zu erreichen – hier und heute. In die aktuelle Lebenssituation, in der wir uns gerade befinden, wollen die Worte ihre hilfreiche und wegweisende Kraft hineinsprechen. Es ist spannend, sich einfach mal darauf einzulassen, alles vermeintliche Vorwissen einmal auf die Seite zu schieben und den Bibelworten zunächst einen leeren Raum im Kopf zu geben, in dem sie sich ganz langsam entfalten können. Und dann kann ich auf die Worte hören, als wäre es das erste Mal.

Zum Hören gehört das Tun

Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Dieser Vers enthält eine göttliche Weisheit, die uns das Leben erleichtern will. Er ist übrigens eingebettet in einen Abschnitt, in dem es um Hörer und Täter des Wortes geht. Dort wird aufgezeigt, dass es nicht ausreicht, lediglich ein guter Zuhörer oder eine gute Zuhörerin zu sein. Das Handeln, das sich aus dem ableitet, was wir hören, ist genauso wichtig. Gutes Zuhören ist nur die eine Seite eines christlichen Lebens; gutes Handeln die andere.

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